| DER VIERTE AKT |
| DIE ERSTE SZENE |
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| Bruder Lawrence betrachtete Paris mit Unwillen. "Donnerstag? Julia?" |
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| Paris nickte. "So will es ihr Vater." |
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| "Das ist sehr kurzfristig." Er wiegte seinen Kopf hin und her. "Ich weiss |
| nicht, ich weiss nicht." |
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| "Was wissen Sie nicht?" Paris zog die Stirn in Falten. |
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| "Na, so kurz nach dem Tod ihres Vetters... Mir kommt das ein wenig, wie soll |
| ich sagen, spanisch vor." |
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| "Julias Vater ist entschlossen. Er meint, dass Tybalts Tod sie mehr |
| beunruhigt, als gut fuer sie ist. Ausserdem braucht er wohl einen neuen Mann |
| in den Reihen seiner Familie." |
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| "Als haetten nicht die Montagues auch einen Verlust, schliesslich ist Romeo |
| nicht mehr in Verona." |
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| "Was fuer ein Problem fuer unseren kleinen Priester, hm?", murmelte Azzuro |
| leise. |
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| "Wenn ihm nicht schnell etwas einfaellt, muss er Julia zweimal verheiraten. Ob |
| sein Gott das mag?" Ulo fluesterte nur, doch Lawrence hatte sie gehoert und |
| drohte ihr mit dem Finger. |
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| "Was sagt Julia selbst dazu?", fragte er Paris. |
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| "Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen." |
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| "Nicht, dass sich irgendjemand darum kuemmerte.", raunte Ulo dem Moench zu. |
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| Bruder Lawrence nickte bedaechtig. "Es gefaellt mir nicht, ein Maedchen zu |
| verheiraten, dass ueberhaupt nicht will." |
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| "Ich habe nicht gesagt, dass sie nicht will." |
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| "Das hat mir ein Voeglein ins Ohr gefluestert." Lawrence deutete auf Ulo. |
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| Paris, der einem Franziskaner nahezu alles zutraute, sah Ulo an und versuchte, |
| den Ausdruck Voeglein mit der riesigen Kraehe in Einklang zu bringen. "Ich bin |
| sicher, Ihr Voeglein hat der Nachricht Gewicht verliehen.", meinte er |
| diplomatisch. |
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| Bruder Lawrence rieb sich mit der Hand ueber die Augen und sah den Huegel |
| hinunter. "Taeusche ich mich, oder kommt da Julia?" |
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| Paris laechelte Julia zu. "Wie gut, dass du kommst, Lieblingsbraut. Wir |
| sprachen gerade von dir." |
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| "Das kann ich mir denken.", antwortete Julia unterkuehlt. |
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| "Lieblingsbraut?" Azzuro kraechzte vergnuegt. "Ob er noch mehr davon hat?" |
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| "Wahrscheinlich nicht, sonst liesse er Julia in Frieden." Ulo war beeindruckt |
| von Julias Haltung. |
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| "Ich haben gerade den Termin fuer die Hochzeit ausgemacht." |
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| "Muss das sein?" Julia verdrehte die Augen. |
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| "Natuerlich muss ich." |
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| "Warum geht er dann nicht hinter die Buesche?", murmelte Ulo. |
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| "Wenn es denn gar nicht anders geht." |
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| Paris, der annahm, Julia wollte sich vor der Hochzeit von Bruder Lawrence |
| beraten lassen, laechelte freundlich. "Sag einfach Bruder Lawrence, dass du |
| mich liebst, dann ist alles in Ordnung." |
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| "Wenn ich alles so einfach in Ordnung bringen koennte, indem ich sage, dass |
| ich ihn liebe." Julia seufzte. |
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| "Na, jetzt wird ihre Zunge wieder spritziger." Ulo freute sich auf einen |
| Disput mit Paris. |
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| Paris verzog sein Gesicht zu einem duemmlichen Laecheln. "Ich bin sicher, dass |
| du mich liebst." |
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| "Eitler Pfau!", schnaubte Ulo veraechtlich. |
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| "Wenn du es sagst, Paris.", meinte Julia. |
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| "Sie uebt schon fuer die Zeit nach der Hochzeit." Ulo kannte den Trick, so |
| lange Ja zu sagen, bis der andere sich eine Sache anders ueberlegte nur zu |
| gut. |
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| "Jetzt tut mir Paris fast leid." Auch Azzuro hatte mit dieser Methode bereits |
| Bekanntschaft geschlossen. |
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| Paris kuesste Julia zuechtig auf die Wange. "Am Donnerstag bekommt du den |
| grossen Bruder von diesem Kuss." Er zwinkerte ihr anzueglich zu und drehte |
| sich um. |
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| Julia wischte sich die Wange mit einem angewiderten Gesichtsausdruck ab. "Es |
| sieht ganz danach aus." |
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| Als Paris den Huegel hinuntergestakst war, drehte Julia sich zu Bruder |
| Lawrence um. "Scheisse." |
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| Ulo, Azzuro und Bruder Lawrence schnappten gleichzeitig nach Luft. |
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| "Das ist aber ein schlechtes Wort, Julia.", tadelte Bruder Lawrence mild. |
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| "Mir faellt kein besseres ein." |
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| "Nanana." Lawrence strich ihr sanft ueber das Haar. |
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| Julia sah Bruder Lawrence ernst an. "Ich bin mit Romeo rechtmaessig |
| verheiratet, oder?" |
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| Der Moench nickte. "Wenn ihr..." Er blickte fragend zu Azzuro hoch, der |
| bestaetigend nickte. "Ja, das seid ihr wohl." |
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| "Dann kann ich auch keinen anderen Mann heiraten. Schon gar nicht, wenn ich |
| nicht will." |
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| "Es gibt Praezendenzfaelle, weisst du. Wenn ein Mann verbannt ist, kann er |
| fuer tot erklaert werden." |
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| Julia richtete sich auf eine lange Vorlesung ein, doch als Lawrence schwieg, |
| hob sie die Haende. "Nur, wenn man einen Antrag stellt. Und ich stelle den |
| bestimmt nicht." Energisch putzte sie sich die Nase. "Ich werde Paris nicht |
| heiraten. Er ist haesslich, aufgeblasen und nicht Romeo." |
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| Lawrence nickte. "Drei gute Gruende, aber was koenntest du sonst tun?" |
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| "Ich bring mich um." |
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| "Das lasse ich nicht zu. Gott verbietet es und wenn du mir davon erzaehlst, |
| halte ich dich ab." |
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| "Versuchs nur." Julia schaute Bruder Lawrence so durchdringend an, dass dieser |
| sich am liebsten in seiner Kutte verkrochen haette wie eine Schildkroete in |
| ihrem Panzer. |
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| "Lass mich nachdenken, vielleicht habe ich eine Idee." |
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| "Denk lieber schnell, denn ich halte es nicht mehr aus." |
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| "Wenn du den Mut hast, dich umzubringen, was natuerlich gegen Gottes Gesetz |
| waere, dann hast du doch bestimmt den Mut, dich scheinbar umzubringen und nur |
| scheinbar gegen Gottes Gesetz zu handeln?" |
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| "Komplizierter kann er es wohl nicht ausdruecken.", maulte Ulo. |
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| "Legal, illegal..." Julia zoegerte. |
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| "Scheissegal.", half Azzuro aus und erntete einen vernichtenden Blick von |
| Bruder Lawrence. |
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| Julia nickte. "Richtig. Ich nehme es mit allem auf, Bruder Lawrence. Wenn es |
| sein muss, dann setze ich mich in einen Ameisenhaufen, spiele Karten mit einer |
| Hexe, tanze auf dem Friedhof oder - ja, sogar das - ich sage meinem Vater, |
| dass er ein herzloser Tyrann ist. Wenn du weisst, wie ich aus diesem |
| Schlamassel herauskomme, dann rede." |
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| Bruder Lawrence verschwand in der Kapelle und kramte in einer Kiste. |
| Schliesslich kam er mit einer kleinen Flasche wieder heraus. "Hier, das ist |
| die Loesung." |
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| Julia wollte nach dem Flaeschchen greifen, doch Lawrence zog rasch die Hand |
| zurueck. "Hoer mir erst zu. Du gehst hiermit nach Hause und tust ganz so, als |
| haettest du es dir ueberlegt. Niemand darf Verdacht schoepfen, also sei |
| froehlich und tu... Na, was immer eine Braut so tut. Am Mittwochabend gehst du |
| ins Bett und sorgst dafuer, dass du in deinem Zimmer lange genug alleine |
| bist." Er schwenkte die Flasche. "Dieses kleine Schaetzchen hier wirkt nicht |
| so schnell, dass man die Wirkung nicht verhindern koennte, indem man dich |
| zum... indem man deinen Magen leert." |
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| Julia nickte traurig. "Also bringe ich mich doch um." |
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| "Nein, nein. Dabei huelfe ich dir nicht." Lawrence laechelte. "Ganz im |
| Gegenteil. Wenn du es trinkst, wirkst du nur fuer zweiundvierzig Stunden wie |
| tot. Es laesst deinen Puls so langsam werden, dass niemand ihn mehr fuehlen |
| kann, deine Muskeln werden steif, dein Atem setzt aus und deine Haut wird |
| kalt. Jeder wird denken, du seist tot. Nur, dass du es nicht bist." |
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| Julia nickte. "Was nuetzt das? Irgendwann werde ich wach und alles ist wie |
| vorher." |
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| Bruder Lawrence breitete die Arme aus, als hielte er ein grossartiges |
| Geschenk. "Nicht ganz. Man wird dich begraben. Wenn die Wirkung nachlaesst, |
| wird Romeo dich aus der Gruft holen und ihr beide koennt nach Mantua |
| verschwinden, ohne dass je ein Mensch davon erfaehrt." |
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| "Romeo? Wie soll er..." |
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| Lawrence unterbrach sie. "Ganz einfach: Ich werde ihm schreiben." |
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| Julia fiel dem Moench um den Hals. "Ich koennte dich kuessen!" |
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| "Lieber nicht, sonst erwuergen ihn seine Geluebde.", meinte Ulo schadenfroh. |
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| "Sieh ihn dir an." Azzuro deutete mit dem Schnabel auf Bruder Lawrence. "Das |
| tun sie so oder so." |
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