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DER ERSTE AKT
DIE FUENFTE SZENE
Der Abend kam und mit ihm die Gaeste, die James dank Romeos Hilfe gefunden
hatte. Sie wissen, wie es bei solchen Festen zugeht: Die Menschen, die sich
dort treffen, sind einander haeufig spinnefeind und kommen nur deshalb zur
Party, weil sie jemand anderem Bosheiten sagen wollen, die nichtsdestoweniger
freundlich klingen. Niemand geht gerne zu einer solchen Veranstaltung, doch
man kann sich nicht erlauben, ihr fern zu bleiben, weil man sonst die
Geruechte verpasst, die bis zur naechsten Party den Gespraechsstoff fuer die
ganze gute Gesellschaft bilden werden.
James wirbelte mit einem Staubtuch in der Hand ein letztes Mal durch das
Wohnzimmer der Capulets, aus dem man wohlweislich alles Zerbrechliche entfernt
hatte. "Wo steckt Potpan?"
"Was weiss denn ich?", fragte sein Kollege.
"Da stehen ja noch die Stuehle! Muss ich denn alles selbst machen?" James
schnappte sich einen Kuechenjungen bei den Haaren und schubste ihn in Richtung
der unschuldig dastehenden Stuehle. "Los, bring sie raus."
"Jawoll, Jungchen, hol ihn raus." Jamesens Kollege hielt sich den Bauch.
"Keine Zeit jetzt fuer Witze.", grollte James. "Sieh zu, dass ein Stueck von
dem Marzipan fuer mich uebrigbleibt."
"Mach ich.", antwortete der andere und verschwand mit einem Tablett auf dem
Arm in Richtung Kueche.
James stapelte die Stuehle aufeinander. "Potpan!"
"Ich bin ja schon da. Komm mal wieder runter." Potpan leckte sich die Reste
der Schokoladensosse von den Fingern.
"Wo hast du eigentlich nicht die Finger drin?", fragte James. "Los, los, wir
haben nicht ewig Zeit. Ist die Buehne fertig?"
"Ist sie."
"Du hast auch die Ruhe weg."
"Besser ruhig bleiben als einen Herzinfarkt bekommen.", grinste Potpan. "Hm,
ist das Marzipan?"
"Es ist _mein_ Marzipan." James stopfte sich das Stueck in den Mund. "Bo eiben
ie enn?"
"Kein Grund, sich zu ueberschlagen, im Moment stehen sie auf der Terrasse und
rauchen. Zeit genug, hier fertig zu werden."
James schluckte den letzten Bissen hinunter und rieb sich den Bauch. "Das war
gut. Also, weiter jetzt, den letzten beissen die Hunde."
"Den letzten beisst James.", grinste Potpan.
Die Musiker, die gerade mit dem Stimmen ihrer Instrumente fertig geworden
waren, spielten den River Kwai Marsch und begleiteten damit James Abgang.
"Jetzt zitieren sie nicht nur aus voellig anderen Quellen, jetzt spielen sie
auch noch die falsche Musik." Azzuro schuettelte sich verzweifelt.
"Goenn ihnen den Spass.", meinte Ulo. "Nachher muessen sie eh nur Schlager
spielen."
Azzuro deutete auf die Tuer. "Da kommen sie. Aber wo steckt denn Romeo?"
"Der kommt bestimmt gleich." Ulo zuckte die Schultern. "Er wird das Rendezvous
mit seinem Schicksal kaum verpassen wollen."
"Klang aber vorhin ganz so. Na, wir werden sehen. Julia ist jedenfalls da."
"In diesem weissen Kleid sieht sie ziemlich schlank aus." Ulo schuettelte den
Kopf. "Sie haette besser etwas farbiges angezogen."
"Schlank?" Azzuro schaute hinueber. "So nett kann auch nur eine Frau
untertreiben."
Frau Capulet, deren blondes Haar ueber das dunkelblaue Kleid zu fliessen
schien, beugte sich zu ihrer Cousine herueber. "Meine Liebste, was fuer ein
wunderschoenes Kleid du da traegst!" Ihre Augen funkelten. "Ich habe diesen
Stil letztes Jahr schon an unserer Putzfrau bewundert, du musst mir unbedingt
sagen, wo du es hast machen lassen."
Helena laechelte und zeigte dabei zu viele Zaehne. "Aber nur wenn du mir
sagst, welcher Friseur dein Haar zurichtet."
Ulo bog sich auf ihrem Ast vor unterdruecktem Lachen. "Hast du das gehoert,
Azzuro?" Sie prustete los. "Zurichtet..."
"Hm?" Azzuros Aufmerksamkeit galt den juengeren unter den weiblichen Gaesten.
"Diese Stichelei ist doch das schoenste an so einem Fest." Ulo war
offensichtlich in ihrem Element.
Herr Capulet breitete theatralisch die Arme aus. "Gegessen haben wir, jetzt
wollen wir den Damen Gelegenheit geben, die Kalorien abzuarbeiten." Er
verneigte sich uebertrieben vor Frau Capulet. "Meine Liebe?"
Das Gesicht, das Frau Capulet zog, liess keinen Zweifel daran, dass bei den
Qualitaeten ihres Gatten als Taenzer die Betonung auf der ersten Silbe von
Qualitaet lag. "Vielleicht sollten wir heute die jungen Leute den Tanz
eroeffnen lassen, mein Lieber." Sie winkte Julia und Paris heran. "Seid so
lieb, Kinder."
"Ganz recht, Liebste, wir werden allmaehlich zu alt dafuer.", stimmte Herr
Capulet zu und erntete dafuer einen giftigen Blick von seiner Frau, den er
jedoch tunlichst uebersah. "Was, Hermann, ist schon eine ganze Zeit her, dass
wir nur zum Spass getanzt haben, nicht?"
"Ja doch." Sein Cousin Hermann liess sich schwer neben ihn auf die Bank
fallen. "Das ist bestimmt schon zwanzig Jahre her."
"Ach, so lang kann das doch nicht sein. Schliesslich haben wir bei Lucentios
Hochzeit noch maechtig die Maedchen gewirbelt.", lachte Capulet.
"Nein, da bin ich ganz sicher. Schliesslich war Lucentios Hochzeit nur ein
halbes Jahr nach Klein-Markus Taufe, und der wird demnaechst selber
Schwiegervater."
"Das kann doch nicht sein. Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht." Herr Capulet
taetschelte die Hand seiner Frau und laechelte duemmlich, als ihm aufging, was
er gerade gesagt hatte. "Aber damals gab es dich ja noch gar nicht, meine
Liebe."
"Pfft.", machte Frau Capulet und wandte sich wieder ihrer Cousine zu, die
einen Moment lang die Beherrschung verlor und ueber das ganze Gesicht grinste.
"Schau an, Hermann, wir bekommen sogar unerwarteten Besuch." Capulet erhob
sich und ging auf Romeo und seine Freunde zu. "Willkommen, meine Herren, aber
nur, wenn sie auch wissen wie man tanzt."
Mercutio verbeugte sich andeutungsweise. "Ja, das wissen wir."
"Dann fuehlen Sie sich ganz wie daheim."
Romeos Augen schweiften durch den Saal und suchten Rosaline, bis sie an Julia
haengenblieben. Einen Augenblick lang hielt die Welt den Atem an. Die Musiker
verstummten, die Taenzer standen still, die aelteren Maenner liessen ihre
Weinglaeser sinken, den Damen blieben fuer einen Moment die Bosheiten im Halse
stecken und selbst James vergass fuer den Hauch eines Augenblicks das
Schnapsglas in seiner Hand. Eine Gasse schien sich durch die Menschen hindurch
aufzutun, in der die metaphorischen Blitze, die zwischen den Augen Romeos und
Julias hin und herschossen keinen Schaden anrichten konnten.
Dann fiel James das Glas aus der Hand und der Bann war gebrochen.
Romeo ergriff den Aermel eines Kellners. "Wer ist sie?"
"Die obligatorische Frage.", murmelte Azzuro und versuchte, die Faszination zu
ueberspielen, die auch ihn erfasst hatte.
"Keine Ahnung, ich bin nur zur Aushilfe hier.", antwortete der Kellner.
"Die obligatorische Antwort." Ulo schwelgte in der Romantik der Situation.
"Halt dich fest, Azzuro, jetzt legt er los."
Azzuro stoehnte. "Ich geh mir derweil eine Fliege fangen."
Auch Mercutio war Romeos verzueckter Gesichtsausdruck nicht entgangen. "Wo ist
denn Rosaline?"
"Wer ist Rosaline?", fragte Romeo. Er blickte zu Ulo hinueber, die sich auf
ihrem Ast vorlehnte. "Sie ist wie eine Taube, die zwischen Kraehen fliegt, so,
wie sie da drueben zwischen den anderen Frauen steht. So schlank wie eine
junge Birke."
Azzuro kam mit einer Motte im Schnabel zurueck und reichte sie Ulo. "Birke?
Das sind die mageren Dinger, die bei jedem Sturm Schwierigkeiten haben, stehen
zu bleiben, nicht?"
"Du bist widerlich, Azzuro." Ulo verspeiste die Motte, ohne den Blick von
Romeo zu lassen.
"Ich habe noch nie eine Frau wie sie gesehen. Und ich Trottel dachte, ich
liebte Rosaline!"
"Trottel ist das richtige Wort.", murmelte Azzuro.
"Sag ich doch die ganze Zeit.", versetzte Ulo.
Tybalt drehte den Kopf und erkannte Romeo. "Was denn, wie denn? Das ist doch
Romeo Montague, da drueben?", fragte er Herrn Capulet.
"Ja und?" Herr Capulet verstand seinen Neffen nicht.
"Er ist bestimmt nur hergekommen, um uns das Fest zu verderben." Tybalt loeste
seinen Degen in der Scheide.
"Wie kommst du denn darauf?"
"Er ist ein Montague, oder? Kannst du dir etwas anderes vorstellen, als dass
er keine Gelegenheit auslaesst, uns zu aergern?"
"Das ihr jungen Leute auch immer nur das Schlechte in anderen sehen muesst. Er
ist jung, also wird er hergekommen sein, um zu tanzen. Gib also Ruhe."
"Lieber Onkel, dem werde ich's zeigen.", knurrte Tybalt.
"Wenn du darauf bestehst, dann besiege ihn auf der Tanzflaeche."
"Mit einem Degen in der Hand.", freute sich Tybalt.
"Nein, mit einem Maedchen im Arm." Capulet dachte an seine Geldboerse und
daran, dass er sich eine neuerliche Geldstrafe nicht leisten konnte. "Immerhin
ist er ein Gast und im Gegensatz zu dir ist er mir heute abend noch nicht
unangenehm aufgefallen."
"Aber..." Tybalt konnte nicht aus seiner Haut.
"Benimm dich, verstehst du? Ja, Livia, da hast du ohne Zweifel recht." Er warf
Tybalt einen letzten Blick zu und kam dann seinen Pflichten als Gastgeber
nach.
"Oh-oh.", machte Ulo.
"Er ist sauer.", stimmte Azzuro ihr zu.
"Sauer? Er ist daemlich." Tybalt bezog Azzuros Kommentar auf seinen Onkel.
"Krah.", antwortete Ulo.
"Weisst du was, Kraehe?" Tybalts Augen glitzerten.
"Krah?"
"Ich werde Romeo zeigen, was ich von ihm halte. Vielleicht nicht jetzt, denn
mein tueddeliger Onkel will mich ja nicht lassen, aber bald. Sehr bald."
Azzuro sah Tybalt nach. "Das also war der Auftritt des Boesewichts."
"Vergiss ihn. Guck lieber da rueber. Sind sie nicht niedlich?" Ulos Augen
hatten einen Ausdruck, den Azzuro von Frauen kannte, die einander mit
Kinderwagen im Park begegneten und ihre Kinder verglichen.
Romeo hatte inzwischen den Brei in seinen Beinen besiegt und es geschafft,
sich durch das Gedraenge der Gaeste zu Julia vorzuarbeiten. Nun stand er vor
ihr und schien einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, in ihren Augen zu
ertrinken.
"Er sieht laecherlich aus." Azzuro kannte kein Mitgefuehl fuer den frisch
Verliebten. "Schnappt mit offenem Mund nach Luft wie ein Fisch auf dem
Trockenen."
Nach einer Weile sah Romeo auf seine Hand hinab und eine Eingebung zuckte
durch sein Gesicht wie ein Blitz ueber einen dunklen Himmel. "Darf ich dir die
Hand geben?"
Azzuro stoehnte.
"Warum?" Julia hatte Romane gelesen.
"Ich moechte dir guten Tag sagen."
"Ah. Ja, du darfst mir die Hand geben." Julias Seufzer verschmolz mit Azzuros,
der sich auf einer Zimmerpflanze niedergelassen hatte.
"Wenn ich dich anfasse...", fluesterte Azzuro. "Nein, warte. Wenn ich dich
beruehre, fuehle ich mich wie ein kleiner Junge vor einem Weihnachtsbaum."
Romeo wiederholte Azzuros Worte.
"Weihnachtsbaum? Habe ich denn pieksige Nadeln? Oder bin ich zu aufgeputzt?"
"Aeh..", machte Romeo und warf einen verzweifelten Blick auf Azzuro, der nur
haemisch grinste und den angehenden Liebhaber seinem Schicksal ueberliess.
Romeo holte tief Luft und ging im Geiste alle mit einem Weihnachtsbaum
assoziierten Gedanken durch, doch abgesehen von den Nadeln und dem Schmuck,
die Julia bereits erwaehnt hatte, wollte ihm nur der Duft einfallen. Moment,
dachte er, der Duft! "Ich wollte sagen, du duftest wie ein Weihnachtsbaum. So,
als sei ein ganzer Wald in einem einzigen Zimmer." Romeo fuehlte die Alpen von
seinem Herzen fallen.
Julia holte tief Luft, besann sich dann aber ihrer guten Manieren und statt zu
bruellen, senkte sie die Stimme zu einem unheilverkuendenden Fluestern.
"Willst du wirklich sagen, dass ich nach _HO-Frisch_ rieche?"
"Was meint sie mit HO-Frisch?", fragte Azzuro verwirrt.
"Haimliches-Oertchen-Frisch.", antwortete Ulo, die Romeos Leid nicht mehr
ertragen konnte und ihm leise ins Ohr fluesterte: "Ich stehe vor dir wie ein
Kind und bewundere deine Schoenheit. Wo du bist, werden Traeume wahr."
Romeos Lippen bewegten sich, als er die Worte wiederholte und an der richtigen
Betonung ueberlegte. Schliesslich fasste er sich ein Herz und sprach sie laut
aus. Julia, die schon halb entschlossen gewesen war, den jungen Mann, der sich
so toelpelhaft benahm stehenzulassen, schmolz dahin. "Wirklich?"
"Oh, ja.", versicherte ihr Romeo. "Und suess wie ein Marzipanapfel." Nun, da
er einen Hinweis bekommen hatte, kam seine Zunge mit dem Aussprechen der
Komplimente kaum noch nach. "Dein Haar ist golden wie das Kleid des Engels,
den wir daheim immer auf die Spitze setzen. Deine Haende sind genauso zierlich
wie seine. Weisst du, er ist aus Wachs, und leider ist er einmal zu nahe an
eine Kerze geraten und dabei sind die Haende ein bisschen geschmolzen. Aber
man kann immer noch sehen, dass es Haende sind. Dein Kleid glitzert wie die
Staniolsterne, die wir immer werfen, damit sie nicht so hingesetzt aussehen.
Deine Augen schimmern wie die Kerzen und sowieso habe ich das Gefuehl, dass
sie mich gleich verbrennen werden." Auf den letzten Satz war Romeo besonders
stolz, denn er hatte einmal in einem Roman seiner Mutter gestoebert und war
ueber die Worte _brennende_ _Liebe_ gestolpert.
Julia ueberlegte kurz, ob sie auf die geschmolzenen Haende des Engels genauer
eingehen sollte, doch dann schob sie den Gedanken beiseite. "Wenn ich eine
Kerze waere, wuerde ich schmelzen.", stellte sie fest.
"Darf ich dich schmelzen?", fragte Romeo, der nun keck wurde.
"Wenn du die Flamme bist, die mich schmilzt, gehst du aus, sobald ich
geschmolzen bin."
Romeo dachte einen Moment nach. "Oh, das ist nicht schlimm, denn wenn ich das
Wachs nicht mehr habe, nuetzt mir auch der Docht nichts."
Julia warf einen zweifelnden Blick auf Romeos Mitte. "Docht?"
"Aeh..." Romeo zoegerte. "Naja, ich meine, wenn du nicht in der Welt bist,
dann kann ich sowieso nie mehr brennen."
"Ach so."
Polly, die mit Argusaugen ueber die Tugend der beiden jungen Leute gewacht
hatte, waehlte diesen Augenblick, um zu Julia zu treten. "Deine Mutter moechte
dich sprechen, Schatz."
Julia drehte das Gesicht zur Seite und zog eine Schnute, dann zuckte sie mit
den Schultern und ging zu ihrer Mutter, die am Ausgang die Gaeste
verabschiedete.
"Wer ist denn ihre Mutter?", fragte Romeo.
"Das wissen Sie nicht?" Polly war ehrlich erstaunt. "Ihre Mutter ist Frau
Capulet, und wenn es stimmt, dass Toechter die juengeren Ausgaben ihrer
Muetter sind, dann ist sie eine tugendhafte und kluge Frau."
"Hm.", machte Romeo.
"Naja, vielleicht hat sie auch ein bisschen von meinem guten Gedaechtnis
mitbekommen. Und ausserdem bekommt sie ihres Vaters Moneten."
"Was kann ein Mann sich mehr wuenschen.", meinte Azzuro leise.
"Prima.", seufzte Romeo bitter. "Dann kann ich sie also gleich vergessen. Aber
das will ich nicht, und wenn sie tausendmal die Tochter des alten Capulet
waere."
Benevolio nahm seinen Cousin beim Arm. "Komm, Romeo, wir wollen gehen. Sieh
nur, wir sind schon fast die letzten, gleich beissen uns die Hunde."
"Ja, so kommt es mir vor.", murmelte Romeo und folgte Benevolio zur Tuer.
Herr Capulet laechelte breit, als er seine Gaeste sah. "Aber meine Herren, Sie
wollen doch nicht schon gehen?" Sein Gesicht bekam einen erstaunten Ausdruck,
als ihm Tybalt ins Ohr fluesterte. "Tatsaechlich?" Er rieb sich ueber die
Glatze. "Na, dann muessen Sie wohl gehen, es war mir ein Vergnuegen, Sie hier
begruessen zu duerfen."
Tybalt schenkte Romeo ein Laecheln, das an einen Tiger gemahnte. "Gute Nacht,
Romeo."
Frau Capulet, die weitere Zusammenstoesse vermeiden wollte, hakte sich bei
ihrem Mann ein. "Komm, Lieber, wir wollen zu Bett gehen, ich bekomme meine
Migraene."
Julia verstaute den Trick zum spaeteren Gebrauch in ihrem Gedaechtnis und zog
an Pollys Aermel. "Wer ist der da?" Sie zeigte verstohlen mit dem Finger.
"Das ist Tiberio junior. Der einzige Sohn und Erbe des alten Tiberio." Polly
laechelte.
"Und der?"
"Petruchio, aber der ist nichts besonderes."
Wieder deutete Julia mit dem Finger. "Und der da? Der den ganzen Abend nicht
ein Mal getanzt hat?"
Polly warf ihr einen misstrauischen Blick zu. "Warum willst du das denn alles
wissen?"
"Och, ich muss doch die Leute kennen, oder?" Julia schaute ihre Amme mit dem
Blick an, der, wie sie wusste, am besten geeignet war, jeden Verdacht zu
zerstreuen.
"Ja. Aber wer der Junge ist, weiss ich nicht."
"Dann tu mir die Liebe und frag ihn nach seinem Namen, ja?" Julia seufzte
tief. "Wenn er schon verheiratet ist, werde ich ins Kloster gehen." Undeutlich
erinnerte sie sich an einen Roman, in dem der Held, nach langen Jahren endlich
Witwer, in einem Kloster seine einzige Geliebte trifft und diese ihre Geluebde
sofort vergisst.
"Nein, dann wirst du Paris heiraten.", meinte Polly bestimmt. "Er ist Romeo
Montague."
"Das gibt es doch nicht!" In Julias Augen machte sich Schrecken breit. "Er ist
der einzige Mann, den ich lieben kann, und ausgerechnet ihn darf ich nicht
lieben, weil sonst mein Vater einen Herzanfall bekommt." Eine weitere
Erinnerung schwamm in ihrem Hirn nach oben wie eine Wasserleiche: Eine junge
Frau, die heiratet und ungluecklich ist, bis ihr Geliebter sie aus der Ehe
entfuehrt, damit sie in einem fernen Land gluecklich wuerden. Sie seufzte noch
einmal. "Wenn das so ist, werde ich wohl fuer immer ungluecklich sein.",
meinte sie und gefiel sich bereits jetzt in ihrer Rolle als Isolde.
"Was soll denn der Unsinn, Kind?", fragte Polly unwillig.
"Ach, schon gut, das verstehst du sowieso nicht.", antwortete Julia mit einem
tragischen Laecheln.
Die Stimme Frau Capulets rief nach ihrer Tochter und Polly schob Julia sanft
aber bestimmt ins Haus. "Komm, Zeit, ins Bett zu gehen. Ausserdem sind jetzt
alle weg und es gibt nichts mehr zu sehen."
"Stimmt." Azzuro gaehnte. "Hoechste Zeit fuer einen gemuetlichen Ast, Liebes."
"Es kommt noch was, geschlafen wird spaeter."
"Oh, nein, nicht heute.", stoehnte Azzuro.
"_Das_ meine ich nicht."